07 / 11 / 2017 in Fokus Technik & IT
Virtual Reality-Technologie im zweiten FrĂŒhling
Aus dem Alltag ausbrechen und ins nĂ€chste Abenteuer abtauchen geht ganz einfach: Ohne Urlaubstage zu beantragen, ohne Urlaubsbudget zusammenzusparen â einfach VR-Brille aufsetzen und los gehtâs!
âVirtual Realityâ (VR) ist so alt wie die Science-Fiction-Literatur â schon 1935 wurden dort Videobrillen und Hologramme als kĂŒnstliche Sinneserfahrungen beschrieben. Diese Idee lieĂ die Menschen nicht mehr los. In den 90er-Jahren gab es die ersten Versuche, mit VR-Technologien kĂŒnstliche Welten zu erschaffen, doch die schwache Rechner- und Grafikleistung fĂŒhrte dazu, dass sich die Idee nicht durchsetzen konnte. FĂŒr den Massenmarkt waren die Hard- und Software zu teuer, zu unausgereift und es existierten zu wenige Anwendungen, um den Markt attraktiv zu machen.
Heutzutage hat sich nicht nur die Grafikleistung verbessert und sorgt fĂŒr rasche âPresenceâ, das realitĂ€tsnahe Eintauchen in die neue Umgebung. Viel wichtiger zum Erfolg beigetragen hat die verbesserte Sensortechnik. Mit extrem empfindlichen Gyroskopen, Beschleunigungssensoren und Magnetometern lassen sich Kopfbewegungen millimetergenau und latenzarm â also ohne Verzögerung â in die VR-Welt ĂŒbertragen.
Wie real ist virtuell?
Virtuell Reality bezeichnet die Darstellung einer ânicht vorhandenenâ Umgebung, die nur auf einem Computer generiert ist. Virtuell heiĂt nichts anders, als âmöglichâ â also eine Umgebung, die es geben kann, aber die physisch tatsĂ€chlich nicht vorhanden ist. In der Augmented Reality können Nutzer ihre Umgebung nach wie vor sehen, es werden darin nur virtuelle GegenstĂ€nde eingeblendet.
Virtuelle Welten sind dann besonders faszinierend, wenn sie unserer Wirklichkeit sehr nahekommen, wie etwa die Stadt Los Angeles im Computerspiel Grand Theft Auto (GTA). Wer hier seine Missionen gespielt hat, findet sich schon bald mĂŒhelos auch ohne Stadtplan im realen L.A. Downtown zurecht. Man kennt ParkhĂ€user, Ecken und GebĂ€ude, die der Wirklichkeit nur nachempfunden wurden, aber so tĂ€uschend echt aussehen und uns das GefĂŒhl geben, sie real zu erleben.
Erleben, was nicht da ist
UrsprĂŒnglich war auch die Bewegung im Raum nicht zwingend erforderlich, denn mit einem Joystick, einem Lenkrad oder einem Gamepad war das Nachempfinden einer nicht-realen Welt schon âFeelingâ genug. Das wohl Faszinierendste an der Weiterentwicklung der Technologie ist, dass man aus den eigenen vier WĂ€nden kaum mehr hinaus muss â oder maximal ins nĂ€chste Shoppingcenter, wo Virtual Reality Gaming Jones wie VR adventures dafĂŒr sorgen, dass immer echtere Abenteuer rund um den Globus erlebt werden können, ohne groĂ auf Reise gehen zu mĂŒssen. Wie Superman ĂŒber Las Vegas fliegen, im House of Horror auf der Suche nach dem Ausgang oder im freien Fall Bungee jumpen, ohne sich dabei wirklich einer Gefahr auszusetzen â all das geht ĂŒberall auf der Welt.
Ende der SchreibtischtÀter
Bewegung kommt ins Spiel, denn mit der Entwicklung der VR-Brille ist auch ein feststehender Monitor Geschichte und ein echtes 360-Grad-Erleben mit fast allen Sinnen wird Wirklichkeit. VR 4.0 macht Schluss mit SchreibtischtĂ€tern: Im Gegensatz zu Videospielen ist der Einsatz des gesamten Körpers erforderlich und schafft dadurch ein unglaublich realitĂ€tsnahes und dreidimensionales Erlebnis, das auch weit ĂŒber herkömmliche 3-, 4- oder 5D-Kinos hinausgeht. Mit einer VR-Brille ist die tatsĂ€chliche Umgebung völlig ausgeblendet, egal welche Bewegung von Kopf, Hand oder FuĂ wir ausfĂŒhren, wir stecken in der neuen Umgebung und das macht schon einiges mit uns Menschen. Wer Höhenangst hat, sollte sich davor hĂŒten, wie Superman ĂŒber die HĂ€user zu fliegen, oder wem beim Achterbahnfahren ĂŒbel wird, der wir das auch bei VR-Erlebnissen empfinden. Je geringer die Latenz â also die Verzögerung im Bild bei der Bewegung des Kopfes â, desto echter das Feeling und desto mehr glaubt unser Gehirn, sich in dieser vorgespielten Umgebung zu befinden.
Dass aus dem Schreibtischerlebnis dann doch wieder ein Social Event wird, dafĂŒr sorgt zum Beispiel VREI in Wien 7, das erste Virtual-Reality CafĂ© in Europa. Ob allein oder mit Freunden, auf einen Kaffee oder ein Bier â hier sind Enthusiasten am Werk, die die Technologie bekannt machen wollen und sich viel Zeit nehmen, die Besucher in die neue Welt einzufĂŒhren.
Do-it-yourself-Tipps
Die einfachste und kostengĂŒnstigste Version, VR auszuprobieren, ist das eigene Smartphone zu nutzen und den Inhalt des Displays durch zwei Lupenlinsen zu vergröĂern. Schablonen und Bastelvorlagen dafĂŒr gibt es im Internet zum Downloaden, zum Beispiel um fĂŒnf Euro auf Heise. Ein wenig kostspieliger ist bereits die ZEISS VR ONE Plus, hier wird einfach das Smartphone eingeschoben und schon gehtâs los.
Dass die VR-QualitĂ€t der Smartphone-Halterungen mit echten VR-Brillen nicht zu vergleichen ist, liegt auf der Hand, denn die Sensoren im Handy sind derzeit nicht fĂŒr Headtracking ausgelegt â das heiĂt, das Bild ruckelt bei jeder Kopfbewegung und macht das Erlebnis damit nicht ganz so tĂ€uschend echt. Samsung löst mit der Gear VR das Headtracking-Problem mit Sensoren im GehĂ€use, hier fehlt aber das Positionstracking, wodurch das Mittendrin-GefĂŒhl ein wenig leidet. Beim Hersteller LG wird das Smartphone G5 nicht in die Brille gesteckt, sondern hat Displays und Sensoren eingebaut, muss aber per USB-Kabel mit der Brille verbunden werden.
Die Profi-Headsets, die alle 2016 auf den Markt gekommen sind, wie Oculus Rift von Oculus, HTC Vive oder die PlayStation VR von Sony können weit mehr als die Smartphone-Halterungen und beherrschen auch die Positionserkennung, jedoch zÀhlen leistungsstarke Gamingrechner in durchaus vierstelligen Preisklassen zum Standardequipment.
Das Revival der Reisekrankheit
Ein aktuelles Problem, das alle VR-Anwendungen haben, ist das Auftreten von Schwindel- und ĂbelkeitsgefĂŒhlen nach einer bestimmten Nutzungsdauer, bekannt als Reise- oder Seekrankheit â im neuen Terminus als âCyber Sicknessâ bezeichnet. Ursache dafĂŒr ist die Diskrepanz zwischen dem, was das Auge sieht und dem, was der Körper fĂŒhlt. Die Symptome sind umso stĂ€rker, umso gröĂer die Latenz, also die Bilderverzögerung ist. Neben der Weiterentwicklung von Hard- und Software gehen Experten auch davon aus, dass sich die Menschen mit zunehmender Nutzung auch daran gewöhnen werden und das Problem in den Hintergrund tritt.
Aus SpaĂ wird Ernst
LĂ€ngst ist es nicht nur die Spielewelt, die mit der VR-Technologie experimentiert. Eine Studie der Unternehmensberatung KPMG aus 2016 geht davon aus, dass die VR-Brille Ă€hnlich dem Smartphone eine wahre Revolution auslösen könnte. In der Architektur oder Immobilienwelt werden Modelle von öffentlichen GebĂ€uden oder Wohnhausanlagen virtuell nachgebaut, um das Ergebnis noch besser auf die Nutzer abstimmen zu können, noch bevor der erste Stein auf den anderen gesetzt wird. Die Besichtigungen von GebĂ€uden fĂŒr eine bessere Möglichkeit der Immobilienvermarktung, die gemeinsam Arbeit an virtuellen Modell oder die Projektentwicklung im virtuellen Raum sind hier nur einige Beispiele, die vor allem Zeit und Geld sparen helfen sollen. Schwierig dabei ist: Je komplexer die interaktiven Design-Visualisierung, desto schwieriger ist die Echtzeitrealisierung und die Aufbereitung der Daten. Auch hier gilt wieder: Je mehr es ruckelt, desto weniger echt ist das Erlebnis.
Wie glauben, was wir sehen
Ein weiteres zentrales Anwendungsfeld ist derzeit auch der Tourismus. Urlaubsdestinationen können schon abgecheckt werden, noch bevor eine kostspielige Reise gebucht wird. Aber auch Kaufentscheidungen wie Autos, Kleidung oder Wohnungen sollen in den nÀchsten zehn Jahren zunehmend VR-basiert getroffen werden.
Im Gesundheitswesen bietet VR bereits jetzt AnsÀtze, etwa in der Psychotherapie zur Behandlung von Angststörungen oder Phobien. So zeigen sich vielversprechende Erfolge bei Menschen mit Flugangst, aber auch in der Schlaganfalltherapie.
Im Personalwesen spielen virtuelle Welten unter dem Aspekt der MobilitĂ€t eine groĂe Rolle. Wer im Ausland auf Jobsuche ist, muss nicht notwendigerweise fĂŒr das erste GesprĂ€ch auch vor Ort sein, um das Unternehmen kennenzulernen oder mit dem Personalchef ein GesprĂ€ch zu fĂŒhren. So versammeln sich etwa mithilfe der VR-Software HoloCloud Menschen in einem virtuellen Konferenzraum und können ĂŒber Avatare miteinander kommunizieren. Ein Vorteil von solchen kollaborativen RĂ€umen gegenĂŒber Telefonkonferenzen liegt in der Direktheit von Gesten, dem Blickkontakt und der gesteigerten EmpathiefĂ€higkeit zwischen den Teilnehmern.
FĂŒr technikaffine Millenials können sich Betriebe, die moderne VR-Technologien im Arbeitsablauf einsetzen, im Ranking der beliebten Arbeitgeber leicht nach oben rutschen, ist es doch ein hippes Feature, wenn sich zum Beispiel das Training von Gefahrensituationen oder bei EinsatzkrĂ€ften in virtuellen Welten stattfindet. Der Funfaktor am Arbeitsplatz kann auch bei der Prozesssteuerung von Maschinen durchaus interessant sein. WĂ€hrend Experten hoffen, dass wir schon bald den âRahmenâ des Bildschirms sprengen und einen Arbeitsplatz ohne Monitor und Maus, dafĂŒr aber mit raumfĂŒllenden Hologramm oder Cybershoes durchs BĂŒro wandern werden, sieht die RealitĂ€t noch anders aus. Entscheidend ist und bleibt die IntensitĂ€t des Erlebnisses und das ist in der Gemeinschaft mit anderen immer noch sinnlicher!
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